Heute:
Gastkommentar Michael Amon zu Griechenland
Liebe Leserschaft!
Es ist geschafft. Wir sind wieder voll da. Da wir alles selbst und unbezahlt machen, geht es nicht immer so schnell, wie wir es gern hätten. Wir danken für das Verständnis!
Heute also der sehr lange Gastkommentar von Michael Amon rund um Griechenland. Wir ersuchen, etwaige Schreib- und sonstige Fehler nachzusehen. Wir haben unser Bestes getan, aber man kann mal etwas übersehen beim Lektorieren eines so langen Beitrags. Ist eben auch nicht unser tägliches Geschäft.
Nach dem Kommentar kommen noch einige der Postings der letzten Tage. Wo nötig, haben wir sie kommentiert.
Wir hoffen, daß Sie die Lektüre so interessant und spannend finden, wie wir!
Bruno Beinhart f. d. Team Gmundl
Die griechische Farce
Ein Gastkommentar von Michael Amon
»Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen
Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen.
Er hat vergessen, hinzuzufügen:
das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.«
Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon (1852)
Ich entschuldige mich gleich eingangs für die Länge des Kommentars. Sie ist leider nicht zu vermeiden gewesen, da wir es in der Krise rund um EU und Griechenland mit einem Konglomerat widerstreitender Ideologien, einander bekämpfender politischer Richtungen, ökonomischer Theorien und dahinterstehenden Machtinteressen zu tun haben. Nur einen Bruchteil dieser vielen, ineinander verschlungenen Fäden kann man in diesem Rahmen zu entwirren versuchen. Es bräuchte ein dickes Buch, um all das halbwegs komplett aufzudröseln.
Ein paar Zeilen Zorn
Es ist nicht leicht, in diesen Tagen einen Artikel über die Vorgänge in Griechenland zu schreiben, ohne den Zorn, der einen erfüllt, in die kommentierenden Zeilen einfließen zu lassen. Angesichts einiger Akteure in diesem längst zur Farce gewandelten Drama, steigt einem die Zornesröte ins Gesicht – erst recht angesichts der Tatsache, daß diese Akteure nicht vor Scham errötend im Boden versinken. Dennoch möchte ich vorab ein paar Worte des Zorns und der Wut verlieren (»verlieren« im wahrsten Wortsinn), so hilflos Zorn und Wut auch sein mögen.
Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, mich politisch in der Sozialdemokratie zu verorten. Aber ich muß dieser Tage zum wiederholten Male erkennen: es scheint zwei Sozialdemokratien zu geben. Eine virtuelle, der ich mich zugehörig fühle, und eine reale, an der ich nichts Sozialdemokratisches mehr zu erkennen vermag. An welchem Ort diese zweite Sozialdemokratie sich aufhält (außer in ein paar hochprivilegierten Machtpositionen für einige Mandatsträger) und aus welchen Quellen sie gespeist wird, will ich gar nicht wissen. Die Wahlergebnisse sprechen für sich.
Sozialdemokratie?
Denn was derzeit leider oft übersehen wird: die ärgsten Marktschreier sind »sozialdemokratische« Politiker, die nicht müde werden, auf Griechenland und seine Menschen verächtlich herabzusehen und ein ziemlich übles Spiel spielen (während sie gleichzeitig dem zurückgetretenen griechischen Finanzminister vorwerfen, ein Gambler zu sein – nur ein weiterer Beweis, wie wenig Ahnung diese Leute von wissenschaftlichen Erklärungsmodellen wie der »Spiel«theorie haben, die mit »gambeln« nun wirklich nichts zu tun hat). Die Regierungspartei Syriza als »linksradikal« zu beschimpfen, ist dumm und eine gezielte Lüge. Es stimmt: diese Partei ist ein Zusammenschluß vieler, kleiner linker und auch linksradikaler Gruppen. Das Programm jedoch ist sozialdemokratischer Standard aus besseren Zeiten. Standards, von denen die meisten heutigen SD-Führungen nur noch die Überschriften kennen, welche sie an den Sonntagen auch brav wiederkäuen. Nur das, was unterhalb der Überschriften steht, wissen sie nicht mehr, wollen viele von ihnen scheinbar auch nicht mehr wissen.
Von der Bevölkerung Europas kaum wahrgenommen ist Herr Dijsselbloem, der Chef der Eurogruppe, niederländischer Finanzminister und Mitglied der Arbeiterpartei, einer der rücksichtslosesten Einpeitscher, dessen Anteil am Scheitern der Verhandlungen man gar nicht hoch genug einstufen kann. Der unsägliche SPD-Chef Gabriel versuchte in den letzten Tagen vor der Abstimmung dem griechischen Volk Angst in einer Art einzujagen, die allen sozialdemokratischen Grundsätzen Hohn spricht. Den Vogel schoß aber wie immer der angebliche Sozialdemokrat und Europa-Bonze Martin Schulz ab, der sich zu einem Satz erdreistete, der einem das Blut in den Adern gefrieren läßt. Für den Fall eines Neins bei der Abstimmung drohte Schulz: »Eure Kinder werden leiden!« Jeder Kommentar überflüssig. Sozialdemokraten sind einst angetreten, den Menschen ihre Ängste zu nehmen, nicht um Ängste zu schüren. Zu diesem Verhalten fallen einem nur noch Verbalinjurien ein, und ich hätte gute Lust, eines dieser Worte hier zu verwenden und im Falle einer Ehrenbeleidigungsklage den Wahrheitsbeweis anzutreten. Derzeit ist die »große« Stunde der politisch charakterlosen Schweinehunde – nicht nur in der Sozialdemokratie.
Christdemokraten?
Ich erspare mir Kritik an den Konservativen aller Schattierungen (die auch einen Herrn Orbán in den Reihen der europäischen Christdemokraten dulden, so wie sie davor Herrn Berlusconi geduldet haben). Von denen habe ich ohnedies nie etwas erwartet. Die Arroganz eines Herrn Juncker, Schaffer des luxemburgischen Steuerparadieses für Großkonzerne, ist sprichwörtlich. Jetzt wirft er den Griechen vor, keine Steuern einzuheben. Verlogenheit kommt vor dem Fall.
Daß der österreichische Finanzminister Schelling die große Lippe führt, ist auch nicht neu. Ein Mann, der weder eine ordentliche Steuerreform zuwege brachte (was der Bevölkerung langsam dämmert), noch sich in seinem vorherigen Job in der Sozialversicherung mit Ruhm bekleckerte (was auch erst langsam klar wird, der Mann ist ein Meister des Selbstmarketings), ein solcher Mann hat die Chuzpe vorige Woche in der PRESSE bei einem Glaserl Wein zu erklären, es sei alles schwer übertrieben, es seien doch »nicht alle Griechen« aus der Sozialversicherung herausgefallen. Ich ergänze: Nur lachhafte vier Millionen Menschen. Darfs ein bisserl mehr sein?
Das Wahlvolk einschüchtern
Mit allen Mitteln wurde versucht, das griechische Volk vor der Abstimmung einzuschüchtern. Auch die angeblich von politischen Einflüssen freie Europäische Zentralbank (EZB) hat bereitwillig mitgespielt: keine Ausweitung der Notkredite (ohnedies alle auf Sand gebaut) und Verknappung der Banknoten auf 20 und 50 Euro-Scheine, wodurch Einkäufe mangels Wechselgeld fast unmöglich wurden. Damit verbunden eine erzwungene Schließung der Banken, um die Menschen zusätzlich in Angst zu versetzen. Eine Strategie, die sowohl die Mentalität der Griechen falsch einschätzte als auch höchst inhuman und zynisch ist – Christdemokraten und Sozialdemokraten haben längst alle Grundsätze und Skrupel über Bord geworfen. Es regiert das Finanzkapital und seine Interessen.
Systemisches Politversagen der EU
So, genug der Wut und des Zorns. Versuchen wir eine halbwegs objektive Analyse der Situation und der Vorgänge.
Zuallererst ist ein systemisches Versagen auf mehreren Ebenen festzustellen. An erster Stelle steht da natürlich das Versagen der Politik und der Institutionen der EU – dieses Versagen ist strukturell bedingt in der falschen Konzeption sowohl der EU als auch der Eurozone. Längst hat sich dieses Europa zu einem für Normalbürger undurchschaubaren Moloch entwickelt.
Wieviele »Normalos« kennen die Unterschiede zwischen EU-Parlament, EU-Rat und EU-Kommission oder können sie gar erklären? Wer weiß, was die vielen »Verträge« und »Prozesse« bedeuten? Lissabon-Prozeß, Dublin-Verträge, Barcelona-Prozeß, Maastricht-Kriterien, Bologna-Prozeß? Oder wer weiß, was die Unzahl an Abkürzungen zu bedeuten hat, die von den Eurokraten erfunden worden sind: ESM, ESF, LTRO, OMT, QE, SMP, ELA u. v. a. Eine wahrlich Orwellsche Quacksprech-Vernebelungsmaschinerie, der die Menschen völlig ratlos gegenüberstehen und ausgeliefert sind.
Dann den Griechen vorzuwerfen, sie wüßten gar nicht, worüber sie abstimmen, ist zwar in gewisser Weise richtig, aber nicht deren Schuld, sondern die der eurokratischen Sprachinflationierer.
Der europäische »Eingigungs«prozeß wurde an den Menschen vorbei geplant, mit falschen Versprechungen garniert sowie mit Lügen und Unwahrheiten behübscht. Man erinnere sich an die Beitrittsabstimmung in Österreich: der Schilling werde nicht abgeschafft, die Neutralität bleibe gewahrt, der Ederer-Tausender blühe uns allen und der Wohlstand werde merklich steigen. Der Faktentest macht sicher.
Die europäischen Politiker haben sich als Exekutoren der Interessen des internationalen Finanzkapitals erwiesen. Und als Sicherer der eigenen Macht. Es geht längst nicht mehr um die Frage der Schulden Griechenlands. Es geht darum, ein Exempel zu statuieren und eine mißliebige Regierung zu verjagen, die sich nicht länger widerspruchslos einer zum Machtinstrument der Großkonzerne verkommenen europäischen »Idee« beugen will. Entsprechend harsch war die Einmischung von außen, die Drohungen, was nicht alles geschehen werde, wenn … Den europäischen Wählern sollte am Beispiel Griechenland klargemacht werden: ihr könnt wählen, was immer ihr wollt, es ändert nichts, denn die Verträge sind auf ewig festgezurrt. So war »pacta sunt servanda« nun wirklich nicht gemeint!
Medien in den Händen von Reedern und Militär
Unterstützt wurde diese »Strategie« durch ein Totalversagen der meisten europäischen Medien. Wer in den letzten Wochen deutsche »Qualitäts«zeitungen gelesen hat, bekam – wie schon in der Ukraine-Frage – ein reichlich eingeschränktes Bild der Realität serviert. Dreißig Jahre neoliberaler Indoktrination zeigen ihre Wirkung. (Wobei der Begriff »neoliberal« falsch ist, denn er stand für genau das, was die Europapolitik abschaffen will: die »soziale Marktwirtschaft« eines Ludwig Erhard!) Die Redaktionsstuben, insbesondere die Wirtschaftsressorts, sind gefüllt mit Anhängern des »neoliberalen« Wirtschaftsextremismus. Die journalistische »Elite« ist so weit weg vom Leben der »normalen« Menschen wie das Gros der Europapolitiker. So kam es auch zur völligen Fehleinschätzung der Stimmung in der Bevölkerung und der Annahme, man könne ein griechisches Abstimmungs-Ja erzwingen. Die griechischen Medien – eigentlich direkt am Puls des Geschehens – sind in der Hand der Finanzmagnaten, der Reeder, des Militärs oder der orthodoxen Kirche. Mächte, die bis heute verhindern, daß ordentliche Grundbücher zur Steuereinhebung eingeführt werden. Mächte, die wie die Reeder, alles unternehmen, nicht in die Steuerpflicht genommen zu werden.
Gesamtversagen der Medien – die Rolle der Blogs
Immer mehr muß man ein Gesamtversagen der Medien feststellen. Wer sich in diesen Tagen über die Stimmung und die Vorgänge in Griechenland ein Bild machen wollte, konnte dies nur, wenn er auf Blogs auswich – angesichts der Sprachprobleme kein einfaches Unterfangen. Zum Glück gibt es englisch- und französischsprachige Blogger, die diese Lücke füllten.
Daß diese Blogs in der Zivilgesellschaft immer bedeutender werden, kann man auch hierzulande beobachten. Der gmundl-Blog ist die aktuelle, landesspezifische Ausformung dieser neuen Art der Information. Wobei nicht verschwiegen werden soll, daß es nicht leicht ist, sich im Internet zwischen den beliebten Verschwörungstheorien und seriösen Blogs mit glaubhaften Infos zu bewegen. Aber dieses Problem hat man inzwischen auch bei den traditionellen Medienerzeugnissen bis hin zu den öffentlich-rechtlichen. Wenn der ORF-Außenpolitik-Chef Pfeifer erklärt »die Volksabstimmung ist ein populistischer Bruch der europäischen Verhandlungskultur«, kann man sich nach den bisherigen Vorfällen nur noch wundern. Die Bazar-Mentalität bei den europäischen Kungelrunden als »Verhandlungskultur« zu bezeichnen, entbehrt nicht der Komik, siehe Thatchers »I want my money back!«.
Griechische Geldeliten und EU gegen die Regierung
So merkwürdig das klingen mag: die EU verlangt zwar, daß Reeder, Kirche etc. endlich besteuert werden sollen, stellt aber dazu Rahmenbedingungen auf, die unerfüllbar sind. (Ich werde darauf noch zu sprechen kommen!) Also setzten die griechischen Geldeliten darauf, daß die EU die einzige Regierung hinwegputscht, die seit Jahrzehnten nicht mit Teilen von ihnen verwoben ist. Denn das Kalkül war klar: Sturz der jetzigen Regierung, Neuwahlen mit der Hoffnung auf eine Mehrheit von Konservativen und Sozialdemokraten, beide in gleicher Weise verrottet und korrupt. Die aber würden von der Rot-Schwarzen-Koalition auf Europaebene akzeptiert werden. Man würde wiederum Verträge unterschreiben, an die sich niemand hält (weil uneinlösbare Bedingungen drin stehen), aber es würde kaum Sanktionen geben. Hauptsache, man tut so als ob, und niemand stellt das religiöse Mantra der »vier Grundfreiheiten der EU« in Frage.
Denn es waren die Vorgängerregierung, mal rot, mal schwarz, die alle Verträge gebrochen und falsche Zahlen gemeldet haben (auch zuletzt 2013 als man wissentlich ein falsches Budgetdefizit von 3,5 % meldete, das sich dann als eines in Höhe von fast 13 % erwies). Der Bruch von Verträgen ist in der EU im übrigen völlig normal und scheinbar Teil des Prozederes (die diversen Rettungsschirme konnten nur durch Vertragsbruch ermöglicht werden). Die ersten, die gegen die Maastricht-Kriterien (die ich für sinnlos und kontraproduktiv halte) verstoßen haben waren ausgerechnet die Deutschen und danach Frankreich. Kaum ein Land hält die diversen jährlichen Zielvorgaben der EU ein – völlig folgenlos. Österreich zum Beispiel ist in Bildung, bei Investitionen, Forschung und Arbeitslosigkeit weit entfernt von den europäischen Vorgaben. Kein Hund schert sich drum!
Die Lüge mit der Schuldentilgung
Eine der vielen Lügen und Unwahrheiten, mit denen man operiert, betrifft die Frage der Rückzahlung der Schulden durch Griechenland. Ich wiederhole es: kein ernsthafter Ökonom glaubt daran, daß diese Rückzahlung möglich ist. Ein Schuldenschnitt ist unvermeidlich. Und zwar ein sehr radikaler. Diesen Schuldenschnitt versucht man mittels ewig langer Zahlungsziele zu verschleiern. Das macht die Griechen weiterhin abhängig und erspart den europäischen Politikern, das Scheitern ihrer Politik einzugestehen. Die Taktik der EU war es daher, die Schuldentilgung möglichst weit hinauszuschieben und in der Zwischenzeit möglichst viel Geld wieder aus Griechenland herauszuziehen. Eine Irrsinnsstrategie, die Griechenland in kurzer Zeit auf den Status eines Dritte-Welt-Landes zurückwerfen würde (der Weg dorthin hat bereits begonnen). Bei diesem üblen Spiel wollte Syriza nicht mitspielen. Den europäischen Politikern ging es in erste Linie darum, nicht vor ihre Völker treten zu müssen und einzugestehen, daß sie Griechenland ein Jahrzehnt hindurch nicht nur die falsche Medizin verpaßt, sondern auch noch Hunderte Milliarden an Steuergeldern verplempert hatten, um Banken zu retten, indem griechische Schulden bei privaten Institutionen zu Schulden bei öffentlichen Institutionen gemacht worden sind. (Was insgesamt charakteristisch ist für die »Bewältigung« der Banken-/Finanzkrise!) Stattdessen wurde ein Gespenst aufgebaut: der prassende Grieche, der faul in der Sonne liegt und sich von den anderen Europäern aushalten lassen will. Die simple Argumentationsstrategie: an allen Verwerfungen, die noch kommen werden, ist nicht die gutwillige EU und ihre Politik schuld, sondern die starrsinnigen Griechen und ihre hasardierende Regierung. Ein nettes Märchen, mehr nicht. Wer ist hier der Hasardeur, wenn die EZB ein Jahr lang, Woche für Woche, fünfzig (!!!) Milliarden (!!!!!) Euro druckt, um damit weitgehend wertlose »Wert«papiere aufzukaufen?
Die traurige Wahrheit ist: weder Europa noch Deutschland noch die USA oder Japan sind in der Lage, jemals ihre Staatsschulden zurückzuzahlen. Darum werden die Zinsen möglichst niedrig gehalten, um zumindest den Zinsendienst zu sichern. Die Rückzahlung der Schulden ist in Wahrheit nicht vorgesehen. In keinem einzigen europäischen Land ist eine Verringerung der Staatsschulden ernsthaft geplant. (Nur der Abbau der strukturellen Defizite, was steigende Staatsschulden ja nicht ausschließt.) Das war historisch immer schon so. Großbritannien zahlt heute noch Schulden aus dem 19. Jahrhundert. Viele Staatsschulden wurden durch Inflationierung »beseitigt«, also mit wertlosem Geld »beglichen«. Oder durch Schuldenschnitte – Deutschland möge sich erinnern: die Schulden aus der Nazi-Zeit mitsamt Kriegsführung und Judenvernichtung wurden zu 50 % gestrichen, Reparationszahlungen aus dem Ersten Weltkrieg praktisch völlig nachgelassen. Sie sollten in einem Friedensvertrag geregelt werden, den es nie gab und nach dem 2+4-Vertrag von 1990 auch nie geben wird, Deutschland wurden damit 110 Milliarden Mark (Geldwert 1952, heute ca. 750 Milliarden Euro!!!) nachgelassen.
Entscheidend für den Druck zur Rückzahlung ist die Größe und Macht eines Landes. Die Griechen kann man mit vielerlei Mitteln zwingen (man droht ihnen mit der völligen Verarmung), die USA mit keinen. Das ist ein entscheidender Punkt, der in der Debatte nie erwähnt wird. Wenn Österreich – und das ist nicht völlig ausgeschlossen – in eine ähnliche Lage käme, würde es ihm ergehen wir Griechenland. Vielleicht kapieren das die Menschen auch hierzulande endlich.
Klassenkampf von oben
Was wir erleben, ist eine Art Klassenkampf, ausgehend von den Akteuren am Finanzmarkt und unterstützt von willfährigen EU-Politiker, die entsprechende vertragliche Voraussetzungen geschaffen haben (und mittels TTIP weiterhin schaffen wollen). Die entscheidende Frage um die es geht, ist die: wer zahlt für die durch Freigabe der Finanzmärkte entstandene Krise und ihre Kosten? Die Antwort, welche die EU gibt, ist klar und deutlich: die europäischen Steuerzahler (also nicht die steuerlich geschonten Großkonzerne), die Akteure der Finanzmärkte bleiben ungeschoren. Die EU agiert nicht im Interesse ihrer Bürger, sondern im Interesse einer Finanzoligarchie, die in der Praxis längst die demokratischen Grundregeln aushebelt. (Ich habe das übrigens bereits 2007 in meinem Buch »Nach dem Wohlstand« als »autoritären Kapitalismus« beschrieben.) Was wir erleben, ist ein totales Versagen der Kräfte der »politischen Mitte«, die sich gemeinsam mit den tonangebenden Medien von der Bevölkerung entfremdet haben. Auf der Strecke bleibt der Mittelstand und alle sozialen Schichten unterhalb dieses Mittelstandes.
Das Problem Währungsunion
Was viele nicht verstehen: die Währungsunion war von Beginn an falsch konzipiert. Eine gemeinsame Währung erfordert, und da sind sich die unterschiedlichen ökonomischen Schulen einmal einig, eine Sozial-, Transfer- und Steuerunion. Und die wiederum gibt es nicht ohne politische Union. Jetzt haben wir die Situation, daß eine einzige Zentralbank, die EZB, mit einer Währung, dem Euro, 28 Landesregierungen gegenübersteht. Die absurde Folge: eine nationale Währung, den Euro, ohne dazugehörige europäische Nation mit Entscheidungsbefugnis. Gleichzeitig aber 28 Nationen ohne eigene Währung, für jede von ihnen ist der Euro eine Fremdwährung, auf die man keinen Einfluß hat. (Das ist, nebenbei angemerkt, eine längst gescheiterte monetaristische Konstruktion der Währung, die nur noch von den Europäern betrieben wird.) 28 Länder auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen werden in ein Währungsschema gepreßt. »One size fits all« – das funktioniert schon bei Büstenhaltern schlecht, bei Währungen scheitert man damit fatal.
Eine Währungsunion – ich habe es schon mehrmals geschrieben – ist eine Schicksalsgemeinschaft. Wenn es zwar eine Währung gibt, aber dazu 28 Regierungen, die unterschiedliche Ziele und Interessen verfolgen, dann geht das schief. Es ist kein Wunder, daß die lautesten Proteste gegen weitere Hilfen an Griechenland von Ländern kommen, die selbst enorme Beträge aus den EU-Töpfen beziehen: Tschechien, Slowakei, Ungarn, baltische Staaten. Je weniger Griechenland bekommt, desto mehr bleibt für diese Staaten über. Es ist das gleiche, dumme Spiel, wie auf lokaler Ebene: Hauptsache, das Geld wird bei uns verbuddelt. Das spielt es auf der ganzen vertikalen Politlandschaft: Hauptsache in Gmunden und nicht in Schärding, Hauptsache in Oberösterreich und nicht in Tirol, Hauptsache in Österreich und nicht in Lettland und vice versa.
Das noch wesentlich gravierendere Problem einer Währungsunion: wirtschaftliche Ungleichgewichte können nicht mehr durch Auf- oder Abwertung von Währungen ausgeglichen werden. Ein wirtschaftlich schwächeres Land wie Griechenland kann nur noch durch Senkung der Löhne oder Erhöhung der Arbeitslosigkeit (was wiederum zur Lohnsenkung führt) reagieren. Wenn ein hochentwickeltes und weitaus produktiveres Land wie Deutschland dann auch noch mittels Hartz IV einen eigenen Niedrigstlohnsektor schafft, hat ein Land wie Griechenland keine Chance auf Erholung. Wir können das auch in Bulgarien oder Rumänien beobachten.
Gleichzeitig wurden im Rahmen der Währungsunion die Kreditzinsen auch für bisherige Hochzinsländer drastisch niedriger. Diese niedrigen Zinsen führten in Spanien zur Immo-Blase und europaweit dazu, daß etwa die südeuropäische (Frankreich, Italien) Autoindustrie zusammenbrach. Deutschland war Hauptnutznießer der Euro-Zone und sammelte enorme Überschüsse in der Leistungsbilanz. Diese Überschüsse aber sind die Defizite der wirtschaftlich schwachen Länder. Wenn Deutschland meint, seine spezielle Form der Sparpolitik durchsetzen zu müssen, wird es in absehbarer Zeit jedoch selbst in eine schwere Krise schlittern. Es ist nicht denkbar, daß in einer Währungszone am Ende nur ein Land alle Überschüsse ansammelt. Wenn diese Überschüsse nicht in die Defizitländer rückgeführt werden (in Form von Investitionen), sind sie wertlos. Das erkannte schon Keynes, der dafür eintrat, solche Handelsbilanzüberschüsse in bestimmten Abständen durch Schuldenschnitte zu entwerten, da es sonst zu dauerhaften Strukturkrisen kommt. Dieses Konzept wurde jedoch nie umgesetzt.
Aus all diesen Gründen war die Idee, mittels einer Währungsunion die europäische Integration zu fördern, von Beginn an ein Irrweg. Wie wir heute wissen und erleben, ist genau das Gegenteil eingetreten: der Euro erweist sich als Mittel der Desintegration.
Die Ironie der Geschichte ist, daß vor allem Franzosen und Engländer den Euro als Mittel sahen, Deutschland in Zaum zu halten und zu verhindern, daß es durch die starke D-Mark wieder eine Vormachtstellung in Europa erreichen könnte. Nun hat man den Salat: Frau Merkel diktiert, was zu geschehen hat. Die schwäbische Hausfrau regiert Europa.
Dabei hätte man gerade aus der deutschen Erfahrung wissen können, daß eine Währungsunion meist nicht zu den erhofften Zielen führt. Nach der Wiedervereinigung wurde damals von Kohl unter heftiger Mittäterschaft von Schäuble (und wider besseres Wissen) ein unrealistischer Umrechnungskurs zwischen D-Mark und Ostmark festgelegt, der dazu geführt hat, daß die ostdeutsche Produktion über Nacht zusammengebrochen ist. Ein Zusammenbruch, von dem sich die östlichen Bundesländer bis heute nicht erholt haben. Auch bei der Währungsunion wurden teils politisch erwünschte Wechselkurse erreicht (durch entsprechende Interventionen der damals noch national selbständigen Notenbanken). Eine Fakt, der viel zu wenig diskutiert wird und die Ungleichgewichte zwischen den Ländern der Währungsunion verstärkt hat. Die Relationen zwischen den alten Währungen bei der Umrechnung in den Euro entsprachen nicht den Relationen der unterschiedlichen Produktivitäten zwischen den Ländern.
Übersättigte Märkte und Finanzspekulation
Die anzustrebende Investition von Handelsbilanzüberschüssen in Griechenland stieß auf ein strukturelles Problem: die allgemeine Marktsättigung. Wie viele Autofabriken soll man in Europa noch bauen? Welches Wachstum ist noch sinnvoll? Gibt es in der Realwirtschaft überhaupt noch genug Anlagemöglichkeiten für die Unmengen von Zinsen suchenden Kapital, das sich in 65 Nachkriegsjahren angesammelt hatte? Die Finanzkrise wurde durch einen Überschuß an Kapital ausgelöst, das nicht mehr zinsbringend angelegt werden konnte, folglich in immer höherem Maße in die Spekulation floß und Blasen produzierte. Eine klassische Situation, die systemimmanent nur durch Kapitalvernichtung gelöst werden kann. Wenn nun die EZB die Märkte mit Euros flutet, führt das nicht zu den erwünschten Investitionen, sondern nur zu weiteren Blasen.
Wenn nun alle Seiten laut nach »Investitionen« rufen, die in Griechenland Arbeitsplätze schaffen sollen, dann muß man zuerst eine Antwort darauf finden, welche Investitionen das denn sein könnten. Hier schweigen die EU-Finanzminister betreten und hoffen auf irgendein Marktgeschehen. Ein »Markt«geschehen, auf das man in Europa nun schon seit ewigen Zeiten bei ständig steigender Arbeitslosigkeit wartet. Private Investitionen in Griechenland wären schon jetzt jederzeit möglich gewesen, denn Kapital ist bekanntlich genug vorhanden. Offenbar fehlt es aber europa- und weltweit an entsprechenden Anlagemöglichkeiten. Indiz dafür ist die in Europa von der Griechenlandkrise überdeckte Tatsache, daß die chinesischen Börsen in den letzten drei Wochen mit Kursverlusten von mehr als 30 % konfrontiert waren. Auch dort also eine liquiditätsgetriebene Hausse, da die enormen Gewinne und die rasante Kapitalakkumulation von der Realwirtschaft nicht mehr absorbiert werden können. Wenn jedoch sogar der chinesische Wachstumsschub zurückgeht, wie soll dann ausgerechnet in Griechenland Wachstum möglich sein? Die zurückgehende Auslastung der aus Europa und den USA nach China verlagerten Werkbänke wird nicht gerade zu neuen Wachstumsschüben führen, solange es der chinesischen Führung nicht gelingt, endlich die Kaufkraft der chinesischen Bevölkerung entscheidend zu heben. (Was wiederum die westlichen Kapitalanleger um ihre erhofften Höchstrenditen bringen würde – aber das ist wiederum eine andere Geschichte.)
Egal von welcher Seite man es betrachtet: das überzogene, global exekutierte Freihandelskonzept ist gescheitert und hat zur Entindustrialisierung des Westens geführt. Die Reindustrialisierung ist nicht nur ein mühsamer Weg, sondern erfordert ein grundlegendes Neuüberdenken der Freihandelsdoktrin und ihre Anpassung an die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte. Sowenig eine Währungsunion unter Ungleichen funktioniert, sowenig kann Freihandel zwischen System mit extrem unterschiedlichen Kosten (Umwelt, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Lohnhöhe) funktionieren. Sowohl die griechische Misere als auch die insgesamt hohe Arbeitslosigkeit in Europa haben ihre Wurzel sowohl in der falsch angelegten Währungsunion als auch in der falschen Handhabung des Freihandels. Darum haben auch all die europäischen Sparpakete nichts an der europaweiten Arbeitslosigkeit geändert, außer, daß nun auch Länder wie Österreich sie immer massiver zu spüren bekommen.
Schulden und Vermögen sind siamesische Zwillinge
Ein weiterer, gern unterschlagener volkswirtschaftlicher Zusammenhang ist der zwischen Schulden und Vermögen. Sparguthaben können nur verzinst werden, wenn jemand bereit ist, sich zu verschulden. Da aber (wie oben beschrieben) Investitionen in die Realwirtschaft bei Marktsättigung nur beschränkt möglich und erfolgreich sind, wurde es den Staaten leicht gemacht, sich zu verschulden. Es war genug Geld da. Gläubiger suchten verzweifelt Schuldner. Denn natürlich wurde den Griechen das Geld förmlich nachgeworfen. Daß Staatsschulden traditionell nicht zurückgezahlt werden, ist da kein Hindernis. Das ist den Gläubigern solange egal, als der Zinsendienst gewährleistet ist. Was sollten sie denn mit dem zurückfließenden Kapital machen? Es gibt keine Anlagemöglichkeit. Darum ist es den Staaten seit Jahrzehnten möglich, ihre Schulden immer auszuweiten. Jede Schuldtilgung wird sofort mit neuen Kreditaufnahmen kompensiert, damit das Werkel weiterläuft. Für die »schwäbische Hausfrau« natürlich unverständlich. Für den US-amerikanischen Hauskäufer schon viel geläufiger: dort hat man eine lange Tradition der Privatverschuldung. Denn auch das wird in der öffentlichen Diskussion völlig ausgeblendet: die private Verschuldung ist weltweit gesehen viel dramatischer als die Staatsverschuldung. Die Finanzkrise wurde beim Platzen der US-Immo-Blase ja von den privaten Schuldnern ausgelöst, die ihre Kredite nicht mehr bedecken konnten. Im immerwährenden Schweinezyklus des Kapitals haben wir wieder einmal die Phase der Kapitalvernichtung erreicht. Die letzte große Vernichtung dieser Art fand im Zweiten Weltkrieg statt. Nach der großflächigen Vernichtung der europäischen Industrie konnte man wieder von vorn beginnen. Heute müssen dafür – hoffentlich – nicht Soldaten fallen, sondern »bloß« Löhne und Arbeitsplätze. Die Griechenlandkrise ist Teil des Versuchs, diese notwendige Kapitalvernichtung möglichst konzentriert in den ökonomisch schwächsten Ländern und auf Kosten der dort lebenden Menschen durchzuführen. Ein letztlich untauglicher Versuch. Wir alle werden den Preis für eine falsche Politik von unkontrolliertem Freihandel, Freigabe der internationalen Spekulation und einer fehlkonzipierten EU zu bezahlen haben.
Die Forderungen der Gläubiger
In den letzten Tagen vor der griechischen Abstimmung war in den Zeitungen viel vom letzten Angebot der Gläubigerländer (=Eurozonen-Finanzminister) zu lesen. Was man nicht zu lesen bekam: was in diesem Papier eigentlich wirklich gestanden ist. Wobei die EU ein neuerliches Beispiel für Bürgernähe geliefert hat: auf der WEB-Seite der EU ist dieses Papier nicht zu finden. Auch die Suchfunktion hilft nicht weiter. Man muß schon die genau WEB-Adresse des Dokuments wissen, um es sich herunterladen zu können. Daß es außerdem nur auf Englisch vorliegt, ist auch schon egal. Den EU-Kauderwelsch, in dem es verfaßt ist, versteht der Normalsterbliche auch auf Deutsch nicht.
Dieses Papier trägt in der bekannt blumigen Prosa der EU-Bürokratie den schwungvollen Namen »Greece List of prior actions – List which takes account of the proposals of the Greek authorities received on 8, 14, 22 and 25 June«.
Ich versuche, die wichtigsten Punkte darzustellen. An erster Stelle wird verlangt, daß der Primärüberschuß des Staatshaushaltes von 1 % (2015) bis auf 3,5 % (2018) in jährlichen Schritten von einem Prozentpunkt (letztes Jahr ein halber) steigen muß. Zahlen, die praktisch nicht erreichbar sind. Erzielt werden soll dies durch Erhöhung der Umsatzsteuer, eine Pensionsreform, verschärfte Steuereinhebung, diverse Deregulierungen und Privatisierungen.
Einige dazu festgeschriebenen Forderungen sind durchaus sinnvoll: Einführung einer funktionierenden Finanzverwaltung und Steuereinhebung, Einführung von Grundbüchern, bessere öffentliche Verwaltung. Im Detail jedoch sind diese Maßnahmen »vergiftet«. Zuvorderst tragen alle vorgeschlagenen Maßnahmen das Stigma des Voluntarismus. Die Fristen zur Umsetzung sind völlig unrealistisch. Man kann kein Grundbuch in eineinhalb Jahren aufbauen, keine Steuereinhebung in einem halben Jahr. Der Zugriff auf die ausländischen (Schweizer) Konten von Steuerflüchtlingen dauert, man weiß es am Beispiel von Österreich und Deutschland, viele, viele Jahre. Hier sind in Wahrheit nicht die Griechen gefordert, sondern die EU. Nur sie hat die Verhandlungsstärke, die Schweiz in dieser Frage zur Kooperation zu bewegen. Dazu kommt: viele dieser Gelder resultieren keineswegs aus Steuerhinterziehung. Die Reeder sind ganz offiziell steuerbefreit. Wie man den Reedern gegenüber eine solche Steuerpflicht durchsetzen soll, hat noch niemand schlüssig erklären können: die Verlagern ihre Firmen (wie in der Schiffahrt üblich) nach Panama, und das war es dann. Noch niemand hat erklärt, wie man in kürzester Zeit das Militär oder die orthodoxe Kirche in die Steuerpflicht zwingt, vor allem angesichts fehlender Grundbücher und der langen Zeitspanne, die man benötigen würde, solche zu erstellen.
Wie sollen die Griechen innerhalb einiger Monate eine neue Finanzverwaltung aufbauen, wenn es Herrn Juncker innerhalb eines Jahres nach seiner Wahl nicht einmal gelungen ist, seinem großmundig verkündeten »Juncker-Fonds« erkennbare Taten folgen zu lassen, weil die Verhandlungen halt ein wenig länger dauern. Es geht um die Organisierung von lachhaften 16 Milliarden Euro (europaweit!), von denen man sich eine Hebelwirkung auf 315 Milliarden verspricht. Abgesehen davon, daß eine solche Hebelwirkung illusorisch ist: die EZB schüttet ohne Wimperzucken berüchtigte 50 Milliarden Euro pro Woche über die Welt, und Herr Juncker sucht seit einem Jahr 16 Milliarden und ein Konzept. Aber die Griechen sollen in kürzester Zeit die Steuereinhebung neu organisieren und ein landesweites Grundbuch erstellen. Man versteht mit einem Mal, warum Herr Varoufakis versucht hat, in den Sitzungen der EU-Finanzminister denen ein paar Grundprinzipien der Ökonomie zu erklären.
Wenn wir schon wieder bei Juncker sind: Über viele Punkte haben die EU-Verantwortlichen schlichtweg gelogen. Juncker lügt, wenn er dramatisch verkündet: »Keine, ich sage KEINE Pensionskürzungen.« Ein typischer Trick eines EU-Bürokraten: die Brutto-Pensionshöhe wird nicht unmittelbar verringert, sie soll aber (bei gleichzeitiger Erhöhung der Krankenversicherung um zwei Prozentpunkte) bis 2021 (!!!) nicht angehoben werden. So stellt sich Herr Juncker KEINE Pensionskürzung vor.
Ein weiteres trauriges Kapitel ist die Landwirtschaft. Griechenland, ein idealtypisches Agrarland, ist Nettoimporteur von Agrargütern. Nun soll innerhalb eines Jahres sowohl die begünstigte Sonderbesteuerung der Bauern aufgehoben werden, als auch eine starke Einschränkung der Agrarsubventionen erfolgen (um den Primärüberschuß zu erreichen). In einer Situation also, da man alles machen müßte, um die griechischen Agrarexporte anzukurbeln, verteuert man die Agrargüter. In einer Zeit, da allen klar wird, daß wir zu einer kleinräumigeren Agrarproduktion kommen müssen, daß wir die kleinbäuerlichen Strukturen erhalten müssen, wenn wir gesunde Lebensmittel haben wollen, geht man hier genau den falschen Weg. Und setzt mit TTIP womöglich noch eins drauf. Welcher vernünftige Mensch würde ein solches Konzept unterschreiben? Ich jedenfalls nicht.
Ähnlich sind die Vorschläge geartet, die man für den Bereich des Tourismus gemacht hat. Die Erhöhung der Umsatzsteuer auf 23 % würde die einzig halbwegs funktionierende Branche in eine schwere Krise stürzen, da diese Steuer bei den unmittelbaren Konkurrenten nur zwischen acht und dreizehn Prozent liegt. Gepaart mit der Streichung von Steuervorteilen für die Inseln, die fast ausschließlich vom Tourismus leben, wäre das ein Schuß in beide Knie gewesen.
Garniert ist das alles mit geradezu absurden Forderungen im Detail. So wird etwa verlangt, die Begrenzung der Lohnpfändung auf 25 % des Nettolohns aufzuheben sowie alle Pauschaluntergrenzen (derzeit 1.500 Euro) drastisch auf das Existenzminimum abzusenken. Wie die griechische Regierung die Pharmakonzerne europarechtskonform zwingen soll, Medikamente, deren Patente ablaufen oder abgelaufen sind, auf 50 % des bisherigen Preises zu reduzieren und Generika gar auf ein Drittel des ursprünglichen Patentpreises, hat auch noch niemand erklären können. Das noch gekoppelt mit einer Fristsetzung an die Regierung: man habe das als ersten (!) Schritt einer Preissenkung per 1. Juli 2015 (!) umzusetzen. Nur noch unter skurril läßt sich jener Passus einordnen, in dem die griechische Regierung verpflichtet wird, den »Treibstoffschmuggel zu bekämpfen, indem gesetzliche Maßnahmen getroffen werden, um stationäre oder mobile Lagertanks zu lokalisieren«. Na dann!
Des weiteren werden irreversible (!) Schritte in Richtung der Privatisierung der Gasversorgung, des Stromnetzes sowie der Flug- und Schiffhäfen gefordert. Dazu eine Fristsetzung per Oktober 2015. Abgesehen davon, daß eine Großteil dieser Privatisierungen in Europa nicht zur angekündigten Verbilligung geführt hat (sondern beispielsweise bei Posttarifen zu einer eklatanten Verteuerung), waren die Folgen etwa beim britischen Bahnwesen ebenso katastrophal wie bei der dortigen Wasserversorgung. Außerdem begeht die EU hier erneut den Fehler, den man schon bei Österreich in Sachen Hypo-Alpe-Adria gemacht hat. Indem die EU eine Frist gesetzt hat, innerhalb der Österreich die Bank abwickeln mußte, wurden die möglicherweise zu erzielenden Erlöse drastisch niedriger. Wenn Käufer wissen, daß man innerhalb einer bestimmten Frist verkaufen muß, dann muß der Verkäufer die Hosen herunterlassen. Es ist ohnedies eine Frage, ob rein ideologisch motivierte Privatisierungen wirklich sinnvoll sind. Man denke an den Verkauf der Austria-Tabak unter der blau-schwarzen Regierung. Der Käufer konnte den Kaufpreis innerhalb von drei Jahren über die Gewinne zurückverdienen, die Republik hatte einen vergleichsweise geringen Einmalerlös zulasten laufender, nicht unbeträchtlicher Gewinnausschüttungen erzielt. Dümmer geht es nicht. (Ob auch noch etwas anderes im Spiel war als Dummheit, ist angesichts der Ungereimtheiten bei vielen Wirtschaftsentscheidungen der Schüssel-Regierung nicht auszuschließen.)
Wer das »letzte« Angebot der EU-Finanzminister ohne ideologische Scheuklappen liest, wird feststellen, daß es nur die Fortschreibung von Rezepten war, die in den vergangenen zehn oder fünfzehn Jahren ihr Scheitern bereits hinter sich gebracht hatten. Dort, wo sinnvolle Maßnahmen angesprochen werden, sind die gesetzten Fristen um Größenordnungen zu knapp, die Sozialeinschnitte sind unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Verarmung unangemessen und der so oft beschworenen europäischen Idee unwürdig. Bei solchen Vorschlägen hat man nur zwei Möglichkeiten. Entweder macht man es wie die Vorgängerregierungen: man unterschreibt das Zeug und hält sich nicht daran. Oder man macht das, wofür Syriza gewählt worden ist: man sagt laut und deutlich »nein«. In diesem Fall hat das die griechische Bevölkerung mit einem Votum von mehr als 60 % getan.
Wie geht es weiter?
Das weiß kein Mensch. Tatsache ist, daß die EZB einerseits die Kreditlinien der Notkredite für die Banken zwar nicht gekürzt, sie aber auch nicht ausgeweitet hat. Damit wird der funktionierende Rest der Wirtschaft endgültig gekillt und der Bevölkerung eine Art Strafgericht gemacht. Sie soll spüren, daß man nicht goutiert, wie sie abgestimmt hat. Ob das ein Vorspiel zum Grexit ist, kann man heute nicht beurteilen. Rechtlich ist er nicht erzwingbar, wirtschaftlich schon. Allerdings wurde die EU sowohl von den USA als auch von China vor den ernsten Konsequenzen eines Grexits gewarnt. Der Bankrott einer vergleichsweise kleinen Bank wie Lehman Brothers hat die damaligen Blasen zum Platzen und mitten in eine neue Weltwirtschaftskrise geführt (das Wort »Finanzkrise« ist eine verniedlichende Verschleierung der wahren Vorgänge). Auch heute, mitten in einer neuen Börsenblase, die maßgeblich von EU und EZB befeuert wurde, besteht die Gefahr, daß das Ausscheiden selbst eines kleinen Landes wie Griechenland, zu unabsehbaren Folgen führen könnte. Denn eines wäre ein Grexit auf jeden Fall: eine schwere Erschütterung Europas. Europa ist schon lange nicht mehr auf dem Weg der zunehmenden Integration. Die hat man mit Osterweiterung und falsch konzipierter Währungsunion leichtfertig unterminiert. Der Grexit würde die Desintegration nicht einleiten, sondern ist vielmehr ein Symptom dieses bereits laufenden Prozesses. Die Erschütterung bestünde darin, daß der Grexit das erste sichtbare Symbol und Ergebnis dieser Desintegration wäre. Wenn man bedenkt, daß nun auch noch die Verhandlungen mit Großbritannien über Änderungen in der EU anstehen (etwa die Einschränkung der Niederlassungsfreiheit – damit würde ein erster Schritt zur Begradigung der vier Grundfreiheiten gesetzt) – bekommt man eine Idee, in welche Richtung das führerlose Schiff Europa schlingert. Das, während eine schwäbische Hausfrau mit Ostsozialisation das Steuerruder umklammert, ohne zu bemerken, daß weitere 27 Staatschefs ebenfalls an diesem Steuerruder herumzerren. Die Passagiere im Unterdeck werden nicht viel gefragt. Es sind immerhin soviele Rettungsboote an Bord, um wenigstens die Raufbrüder auf dem Steuerdeck in Sicherheit zu bringen.
Um all das auf einen kurzen Nenner zu bringen: Die politische Mitte hat versagt. Sie hat sich verengt und radikalisiert und wurde zu einer, … nun, ich würde es »extreme Mitte« nennen. Dann darf man sich nicht wundern, wenn die Ränder ausfransen. Die extreme Mitte hat jetzt die Wahl: eine Politik zu machen, die den rechten Rand stärkt, der Europa zerstören will. Oder eine Politik umzusetzen, die den Weg gemeinsam mit den linken Kräften geht, die ein verändertes, erneuertes aber gemeinsames Europa wollen. Wenn sowohl Sozialdemokraten als auch Christdemokraten sich auf ihre sozialen und demokratischen Wurzeln besinnen, dann sollte die Wahl eigentlich nicht schwer fallen. So man dort überhaupt noch die Absicht hat, den Primat der Politik über die Wirtschaft durchzusetzen.
Noch hat die europäische Politik andere Optionen, als die Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Aber das europäische Boot nähert sich immer schneller der Straße von Messina. Dummerweise hat dieses Boot aber nur Merkel und Co. auf der Schiffsbrücke stehen und nicht Odysseus. Der hat wohl den Grexit vorgezogen.
Epilog
Ein ganzes Volk, das sich durch eine Revolution eine beschleunigte Bewegungskraft gegeben zu haben glaubt, findet sich plötzlich in eine verstorbene Epoche zurückversetzt, und damit keine Täuschung über den Rückfall möglich ist, stehn die alten Data wieder auf, die alte Zeitrechnung, die alten Namen, die alten Edikte, die längst der antiquarischen Gelehrsamkeit verfallen, und die alten Schergen, die längst verfault schienen.
Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon (1851/52)
Michael Amon lebt als freier Schriftsteller in Wien und Gmunden. Derzeit arbeitet er an dem Roman „Der Preis der Herrlichkeit“, dem vierten Band seiner fünfteiligen „Wiener Bibliothek der Vergeblichkeiten“, die im Gewand des Krimis sowohl die Grenzen des Genres als auch die Möglichkeiten des Romans auslotet. Was im ersten Band als satirischer Krimi über Korruption beginnt, sich dann den Fragen des extremistischen religiösen Wahns zuwendet, endet in einer großen, melancholischen Geschichte über Sinn und Zweck der Existenz, über die Vergeblichkeit des Seins.
Außerdem soll dieser Beitrag mit einigen weiteren, die sich mit EU-Fragen befassen, nächste Woche als besonders preisgünstiges E-Book für den Kindle/amazon erscheinen. Wir werden rechtzeitig darauf hinweisen.
Gmundens Totenglöckchen
2003 eine Entscheidung auf politischer Ebene bzgl SRT zu fällen, ist unwichtig. Auch ich weiß nichts davon – bin am identen Stand von “Gmundl”. Wichtig war Entscheidung im ersten Quartal 2013, wo die Gmundner Politvertreter umfielen wie die Mikadostäbchen, knapp gefolgt von Hupf & Co, von Fraktion “zugfreies Gmunden” war nichts zu hören & zu sehen – die lagen in Agonie. Da hätte man vor DER GR-Entscheidung 2013 Monate vorher etwas bewirken können – selbstverständlich unter meinem Kommando. Ein(e) echte(r) Gmundner/in hätte gezeigt, wo der Bartl den Most herholt.
Also, auf diese Loosertruppe “zugfreies Gmunden” bei Wahl 2015 braucht keiner bauen. Die brauchen bei Wahl nicht antreten. zB im September 2014 eine Demo bei Spatenstich ansetzen & keiner von der Gruppe traut sich hin.
Gmunden – völlig heruntergekommen: Aktionen a la “Griss di”, Schwanenbussi, “Hos`n obi Restlmärkte”, Lampions zeugen von Kindergartenambiente! Gmunden ist TOT – abgewirschaftet!
Wir lesen diesen Beitrag als satirische Überhöhung der Realsatire Gmunden.
Babsy Blitzschnell f. d. Team Gmundl
Susanne Walcher
Der unterfertigte Mag. Franz Trinkfaß, Pfarrer von Gmunden-Ort, der hier so plakativ für mehr Humanität gegenübrr Asylwerbern eintritt, ist nicht zufällig jener Pfarrer Trinkfaß, der mir vor wenigen Wochen die Taufe meines Sohnes in der Kapelle des Pensionats verweigert hat?
Wie passt das zusammen? Von den Leuten Menschlichkeit einfordern und einem Baby die Kirchentür vor der Nase zuknallen? Wasser predigen und Wein trinken?????
Wenn die anderen Unterfertigten dieselbe Qualität haben, dann Prost Mahlzeit!
Die in diesem Posting erhobenen Vorwürfe sind gravierend. Uns würden daher zwei Sachen interessieren: eine Stellungnahme des betroffenen Pfarrers. Sowie die Begründung für das ablehnende Verhalten. Wurde das in entsprechender begründet? Gab es dazu eine Beratung, eine Seelsorge? Unseres Wissens gibt es in der Kirche bestimmte Gründe, die eine Taufe ausschließen.
Babsy Blitzschnell f. d. Team Gmundl
holzauge47
Ich finde es gut das nun auch in Gmunden Asylanten aufgenommen werden.
Humanität findet an der eigenen Haustüre statt, man nehme sich ein Beispiel an Ebensee und Altmünster da funktioniert das sehr gut.
Marge Lila
Solidarität der Griechen für die Griechen!
Im Dezember 2014 und Jänner 2015 haben die Griechen ca. EUR 16 Milliarden von ihren Konten in Griechenland behoben. Seit Februar weitere EUR 10 Milliarden. Über EUR 80 Milliarden liegen schon alleine in der Schweiz (ein guter Teil davon ist – richtig geraten – natürlich unversteuertes Geld).
Mit dem Referendum haben die Griechen ihr unerschütterliches Vertrauen in die derzeitige Regierung und deren Kurs mit großer Mehrheit bestätigt. Da das Vertrauen in ihre Regierungspolitik offenbar viel größer ist, als das in die Politik der EU, ist es jetzt hoch an der Zeit, dass die Griechen ihr Geld aus dem Ausland oder unter den Kopfpolstern hervor holen und wieder zu ihren Banken tragen. Die brauchen nämlich so dringend Liquidität, dass sie denen, die wirklich nichts außer ihrer kleinen Rente haben, kein Geld geben können. Diejenigen Griechen, die offenbar Nutznießer der bisherigen Misswirtschaft in ihrem Land waren, konnten über 100 Milliarden alleine auf ihren Konten in Griechenland und der Schweiz ansparen. Wie viel griechisches Geld sonst noch außerhalb des Landes liegt, kann man nur erahnen.
Die griechische Bevölkerung hat Vertrauen in Tsipras und Co, die EU und die Geldgeber haben es nicht mehr. Ich bin aus vielen Gründen dafür, dass dem Land geholfen wird. Aber erst wenn das Vertrauen wieder hergestellt ist. Für diese erste, vertrauensbildende Maßnahme sind meiner Ansicht nach jetzt und sofort die Griechen selbst zuständig. Erst dann kann auf Augenhöhe verhandelt und partnerschaftliche Lösungen angedacht werden und zu recht europäische Solidarität eingefordert werden.
Margareta Enser-de Groot
Liebe Babsy,
jetzt hast Du aber übertrieben. Du wirst doch so souverän sein und auch eine andere Meinung tolerieren und nicht das Vokabular gebrauchen, dass ich immer ” auf den gmundl einhaue”. Das ist keine sachliche Definition.eines Standpunktes, der sich von dem des “gmundl” eben zu einem gewissen Thema unterscheidet.
Man mujss nicht immer alles kommentieren, manchmal können sich die lieben Bürgerlein selbst ein Urteil bilden.
Habe die Meinung doch eh “toleriert”, was heisst toleriert: wir akzeptieren die immer wieder auftauchenden Seitenhiebe wegen unserer Regio-Haltung. Damit muss man leben. Aber zur Wehr dürfen auch wir uns setzen, oder? Noch dazu waren meine Worte mehr als nur moderat. Das schränkt ja die Bürgerleins nicht bei ihrer Urteilsbildung ein. Also nix für ungut.
Babsy Blitzschnell f. d. Team Gmundl
Kommentar verfassen