Heute:
Gastkommentar von Michael Amon „Weiterleben“
Liebe Leserschaft!
Es gibt wohl niemanden, der unberührt geblieben ist. Von dem, was in der Nacht vom vergangenen Freitag auf Samstag in Paris geschehen ist. Das zweit Mal in diesem Jahr wurde die Stadt Schauplatz eines schauderhaften Mordens. Sinnlos und grauenvoll. Dazu heute ein Gastkommentar von Michael Amon. Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre Einsichten und Erkenntnisse.
Bruno Beinhart f. d. Team Gmundl
Weiterleben
Ein Gastkommentar von Michael Amon
Ich hatte mich in der Nacht vom letzten Freitag auf Samstag gerade daran gemacht, meinen versprochenen Nachruf auf Helmut Schmid, Ernst Fuchs und André Glucksmann zu schreiben, als ich den Anruf eines Freundes bekam. Ich solle die Nachrichten einschalten, in Paris sei schon wieder ein grauenhaftes Terrorgeschehen im Gange. Zu diesem Zeitpunkt war die Nachrichtenlage noch diffus, aber das Ausmaß der Schreckens zeichnete sich bereits ab.
Der erste Gedanke: ist es angemessen, angesichts der Ereignisse, einen Nachruf auf drei mehr oder weniger bedeutende Persönlichkeiten zu verfassen? Gibt es im Moment nicht dringendere Fragen, über die nachzudenken sich nicht nur lohnt, sondern eine unmittelbare Notwendigkeit ist?
Die Antwort schien mir in diesem Moment eindeutig: eigentlich müßte man Nachrufe auf jedes der Pariser Mordopfer schreiben – aus Respekt vor völlig unschuldigen Menschen und auch um den Irrsinn der Vorgänge noch besser faßbar zu machen, jedem Opfer sein Gesicht und seine Würde zu geben. Ein Aufgabe, die einen einzelnen Schreiber natürlich überfordert, schon gar, wenn man nicht vor Ort recherchieren kann. Ich teilte meine Bedenken den Leuten vom Team Gmundl mit, und im Laufe des Samstag kamen wir überein, ich solle, sobald mehr Klarheit herrscht, für Montag einige Gedanken zum Geschehen zusammenfassen. Was hiermit geschieht, allerdings nicht mit dem Anspruch, hier eine vollständige Erklärung oder Deutung abzuliefern. Es geht um Denkansätze und Anstöße zur Diskussion.
Unerträglich ist es, wie einige Politiker bereits versuchen, ihr politisches Süppchen zu kochen, noch bevor überhaupt die Zahl der Opfer endgültig feststeht, und bevor man detaillierte Klarheit über die Täterschaft hat. Dazu jede Menge Mutmaßungen und Stochern im Nebel. Typisches Beispiel dafür ist das Interview mit einem Terror«experten« im heutigen Kurier, der von einer komplexen Operation mit möglicherweise mehrmonatiger Vorbereitung spricht. Nun läßt sich logisch sehr einfach nachvollziehen, wie leicht ein solches Attentat zu planen ist: acht Täter, sechs Tatorte – das ist nur die Simulation von Komplexität. Nichts leichter, als sich ohne elektronische Hilfsmittel abzusprechen. Uhrzeit und Ort, mehr Absprachen braucht es nicht. Daß es kein Problem ist, sich in Europa Waffen und Sprengstoff zu organisieren, weiß man seit langem und ist letztlich auch nicht zu verhindern. Da es sich um Leute handelt, die ihren eigenen Tod nicht nur einkalkulieren, sondern sogar anstreben, entfällt auch die Notwendigkeit einer Rückzugslogistik. Komplexe Planung sieht anders aus.
Man kann es nicht oft genug schreiben: die Attentate, egal ob 9/11, Charlie Hebdo oder die vom vergangenen Freitag, sind von schlichten Gemütern ebenso schlicht durchgeführt. (Man erinnere sich: die Piloten von 9/11 wollten nicht einmal Landemanöver lernen, nur Kurvenfliegen.) Darin besteht ja ihre aus Sicht der Mörder hohe Effektivität und Effizienz. Je komplexer ein Tathergang, umso wahrscheinlicher das Mißlingen. Diese Schlichtheit ist einer der Gründe, warum es gegen solch monströse Untaten keinen ernsthaften Schutz gibt.
Gleichzeitig ist der Versuch strikt zurückzuweisen, jetzt Gesetze zu ändern, Bürgerrechte außer Kraft zu setzen und bei der Terrorbekämpfung mit Versatzstücken des Kriegsrechts vorzugehen, die es etwa erlauben, hohe Opferzahlen bei unbeteiligten »Zivilisten« in Kauf zu nehmen. Klassisches Beispiel: die vom deutschen Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig klassifizierte Idee, entführte Flugzeuge einfach abzuschießen. In der heutigen PRESSE wird bereits in einem Kommentar von Priv.-Doz. Dr. Müller eine deutliche Einschränkung des Rechtsstaates verlangt. Begründung: es herrsche Krieg und dieser Terror bedrohe die Staatlichkeit. Beide Behauptungen sind grundfalsch. Ein wesentliches Merkmal von Kriegen ist der Angriff auf territoriale Grenzen. Das ist hier nicht der Fall. Auch die Behauptung, Terroranschläge würden die staatliche Souveränität gefährden, sind historisch belegbar falsch.
Wenn man sich die Geschichte des »modernen« individuellen Terrors vor Augen führt (beginnend mit diversen anarchistischen Umtrieben im 19. Jahrhundert), dann war keine dieser Terrorgruppen (oder Terrorbewegungen) erfolgreich darin, bestehende staatliche Strukturen zu zerstören. Weder die Narodniki im zaristischen Rußland, noch die PLO, weder die RAF oder 9/11 konnten staatliche Ordnungen nachhaltig erschüttern oder gar zerstören.
Individueller Terror (und um nichts anderes handelt es sich) kann – schlimm genug – Individuen schädigen, auch eine große Zahl, aber niemals die staatliche Ordnung ernsthaft bedrohen. Darum sind kollektive Gegenschläge auch wirkungslos, denn sie laufen meist ins Leere. Erfolgreich sind meist individuelle Antworten, das lehrt auch der Einsatz von Drohnen oder Spezialkommandos. Die Ergreifung und Tötung von Osama Bin Laden oder jetzt des Oberhenkers der IS erfolgte nicht durch klassische Kriegshandlungen, sondern durch individuell zugeschnittene, von kleinen Einheiten durchgeführte Gegenattacken.
Man sollte also das Wort »Krieg« vermeiden, auch oder gerade weil es im allgemeinen Sprachgebrauch sehr undifferenziert, um nicht zu sagen leichtfertig, verwendet wird.
Mir scheint auch der Begriff »Islamismus« ein fragwürdiger zu sein, selbst dann, wenn man Beifügungen wie »extrem« oder »radikal« verwendet. Das unterstellt eine rein religiöse Fundierung der Mörderbanden (egal ob IS, Al-Quaida oder sonstwelche dieser Gruppen, die im Auflösungsprozeß der Staatlichkeit im arabischen Raum eine Art Wettlauf der Grausamkeit und des Schreckens auch gegeneinander angetreten haben). Mir erscheint das Wort »Dschihadisten« wesentlich zutreffender. Es vermeidet die undifferenzierte Punzierung des Islams als solchen, wenngleich man nicht außeracht lassen kann, daß dem Islam schon von seinen Wurzeln und seiner historischen Entstehung her ein enormes Gewaltpotential innewohnt. Ohne ins Detail zu gehen: während man im Christentum die Gewalt (all die Verbrechen der Inquisition, Religionskriege) mühsam »hineininterpretieren« muß, steht man beim Islam vor dem gegenteiligen Problem: die allgegenwärtige Gewalt in den Urschriften und in der Gründungsgeschichte muß »herausinterpretiert« werden. Das Christentum entwickelte seine gewalttätigen Züge erst, nachdem es Staatsreligion geworden war. Die ersten rund dreihundert Jahre seiner Geschichte war das Christentum verfolgt, Christen ließen sich ohne Gegenwehr abschlachten. Die Gründungsgeschichte des Islams ist eine der Kriege und des Massenmordes. Schon der Prophet war wenig zimperlich (seine Gegner allerdings auch nicht), die Nachfolgekämpfe nach seinem Tod waren selbst für die damaligen arabischen Stammesverhältnisse ausnehmend blutrünstig. So gesehen stehen die Dschihadisten durchaus in der Tradition bestimmter geschichtlicher Ereignisse und der sie tragenden Gruppierungen.
Das wesentliche Merkmal des heutigen Dschihadismus ist das völlige Fehlen eines klaren Konzepts und eines politischen Ziels. Darüber kann auch die Berufung auf ein »Kalifat« nicht viel ändern. Das eigentliche Charakteristikum ist ein Todeskult besonderer Art. Waren die frühen Christen jenseitsorientiert, weil sie an das baldige Ende der Welt glaubten, so streben Dschihadisten ihr individuelles »Weltende« mit reicher Belohnung im Himmel an. War es im Christentum (und bis heute in vielen christlichen Sekten) eine tiefe Todessehnsucht, von der viele Gläubige erfaßt waren, so ist es im Dschihadismus ein Todeswille. Christen erwarteten in Demut ihren Tod und die Erlösung, Selbstmord galt als schwere Sünde, die den Eingang ins Himmelreich erschwerte oder gar verunmöglichte. Die Tötung anderer Menschen um des Tötens willen ist keine christliche Kategorie. Es gibt keinen Einzug in den Himmel, weil man »Ungläubige« massakriert. Der Islam legt eine solche unmenschliche und verbrecherische Deutung jedoch durchaus nahe, schließt sie nicht strikt aus. Wer im Dschihad stirbt, der kommt ins Himmelreich. Die Auslegung des Begriffs »Dschihad« ist zwar vieldeutig, aber sie exkludiert diese Interpretation keineswegs. Man kann es drehen und wenden, wie man will: der Islam hat auch jenseits des Dschihadismus ein Problem mit der Gewalt, auch wenn Hunderte Millionen von Moslems in ihrem Alltagsleben friedfertige Menschen sind.
Das Flüchtlingsthema. Hier sollte man sich vor Schnellschüssen hüten. Der IS braucht die Flüchtlingsströme nicht, um Leute nach Europa zu schleusen. Noch dazu da man weiß, daß auch beim letzten Terroranschlag wiederum vorwiegend (oder ausschließlich, so genau weiß man das noch nicht) europäischstämmige Dschihadisten ihr mörderisches Unwesen trieben. Da seitens des IS jedoch ebenfalls versucht wird, die Flüchtlinge zu instrumentalisieren, ist nicht auszuschließen, daß man versucht, mittels entsprechender Spuren (so wurde ein syrischer Paß in der Nähe eines der Tatorte gefunden, Hintergrund ungeklärt) die ohnehin vorhandene Angst der Bevölkerung weiter zu steigern. Da treffen sich absurderweise die Interessen rechtsradikaler Parteien und der IS-Dschihadisten. Wer hier nun bewußt Panik schürt, sich gar – wie am Wochenende Herr Strache – vor dem Bild eines Stacheldrahtzauns werblich in Szene setzt, der betreibt ungewollt das Geschäft des IS. Noch immer kann man logischerweise und unter Beachtung der menschlichen Natur davon ausgehen, daß nur wenige »Flüchtlinge« religiösen Fanatikern à la IS Sympathien entgegenbringen. Kriegsflüchtlinge und erst recht die geschmähten Wirtschaftsflüchtlinge haben andere Interessen. Die nehmen nicht die qualvollen Mühen der Flucht auf sich, um sich dann mit Sprengstoffgürteln in ein vermeintlich besseres Jenseits zu sprengen. Einfach gesagt: es ist nicht unwahrscheinlich, daß der IS einzelne Leute in die Flüchtlingsmenge schleust, die wird man aber auch bei bester Registrierung nicht herausfiltern können. Man sollte die Flüchtlingsströme diesbezüglich im übrigen pragmatisch sehen: bei der großen Zahl flüchtender Menschen muß man vernünftigerweise davon ausgehen, daß ihre Zusammensetzung bis zu einem bestimmten Grad repräsentativ für eine Durchschnittsbevölkerung ist, mit allem Drum und Dran. Also ein repräsentativer Anteil an Kriminellen, normalen Menschen, Begabten, Unbegabten, Faulen, Fleißigen etc. Letztlich ein Querschnitt der Condition humaine.
Wenn der Begriff Heimat irgendeinen Sinn hat, dann keinen geographischen, sondern einen ideellen: Daß wir in unserer Lebensart zu Hause sind; in unserem Denken und Fühlen; unter den Menschen, die wir lieben (oder bloß mögen), aber auch unter jenen, die wir, aus welchen Gründen immer, nicht besonders schätzen, aber deren Recht auf Leben und Glück wir niemals in Frage stellen würden. Wenn wir unsere eigenen Prinzipien zur Disposition stellen, machen wir genau das, wozu wir von Dschihadisten aller Provenienz provoziert werden sollen. Hier fehlt ein deutliches Wort von besonnenen Politikern: eine freie Gesellschaft ohne Risken gibt es nicht. Wer eine absolut sichere Gesellschaft will, bekommt die Unfreiheit frei Haus mitgeliefert.
Das richtige Maß zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden, ist ein Gebot der Stunde. Eine Aufgabe, die schwierig genug ist. Demagogische Schlichtheit, die in den letzten zwei Tagen leider allzu oft die Stimme erhob, ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.
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