Heute:
GK von Michael Amon
Liebe Leserschaft,
erschöpft vom Wahlkampf und noch erschöpfter von den Freudenfeiern und Trostbesäufnissen danach, hängen Wähler, Politiker und Wahlhelfer in den Seilen. In einigen Jahren wird man sich dieses Wahlkampfs mit nostalgischer Rührung erinnern, als einen aus Zeiten, die man dann die „guten alten“ nennen wird.
Wie es zu diesem Ergebnis kam, wird uns wohl noch eine Weile beschäftigen. Heute aber hier bei uns ein erster Kommentar zu den Ergebnissen, geschrieben vom Gmundner Autor Michael Amon. Ihm wollen wir an dieser Stelle danken für seine täglichen Beiträge der vergangenen Woche. Er ist viel beschäftigt und stark nachgefragt (zuletzt von einem Zusammenschluss von 60 deutschen Regionalzeitungen, die von ihm [er]klärende Worte zur politischen Lage in Österreich haben wollten).
Wir wünschen Ihnen einen ordentlichen Erkenntnissgewinn, wenn er auch nach dem Wahltag vielleicht zu spät einsetzt.
Charlie Chip f. d. Team Gmundl
Das wars …
Gastkommentar von Michael Amon
Kurz hat es tatsächlich geschafft, mit seinem Marketing-Schmäh von der neuen ÖVP durchzukommen. Dafür gibt es natürlich eine Reihe von Gründen. Ein besonders wichtiger Grund wurde in den bisherigen Diskussion (vor allem am Wahlabend) nicht erwähnt: Die einstigen Wähler von Team Stronach und dem BZÖ mußten irgendwo hin. Es war nicht das Erneuerungsversprechen, das Kurz den Wahlsieg einbrachte, sondern der deutliche Rechtsruck, den er vornahm. Sein Wahlkampf war in Wahrheit völlig auf die Ausländer-/Flüchtlingsproblematik fokussiert. Egal welches Thema angesprochen wurde, Kurz landete immer bei den Flüchtlingen. Es ist ihm gelungen, daß dieses Thema auch in diesem Wahlkampf alle anderen Probleme (und deren gibt es jede Menge) überdeckte. Damit machte er der FPÖ deutliche Schwierigkeiten (die sonst wohl Stronach- und BZÖ-Wähler voll einkassiert hätte) und konnte im Teich der freigewordenen rechten Wähler ordentlich mitfischen.
Ebenso gelang es ihm offensichtlich, Teile der Nichtwähler zu aktivieren. Interessant daran ist, daß Kurz zwar dauernd von „Erneuerung“ sprach, aber nie erklärte, was er dadrunter konkret versteht. So konnte jeder sich sein eigenes Bild von „Erneuerung“ machen. In Kurz konnten alle diesbezüglichen Wünsche hinein projiziert werden.
Straches FPÖ hätte wahrscheinlich den ersten Platz geschafft (und die VP wäre Dritte geworden), wenn Kurz nicht diesen scharfen Rechtskurs eingeschlagen hätte. Um es offen zu sagen: wenn nun wirklich schwarz-blau kommen sollte, wäre mir der Strache als Kanzler wesentlich lieber. Dann würden nämlich die Karten offen auf dem Tisch liegen, und nicht Kurz mit einer unklaren (geheimen) Agenda regieren können. Denn es ist unübersehbar, daß die Kurzschen Pläne, soweit man sie erahnen kann (Genaues weiß man ja nicht), in Richtung Kahlschlag im Sozialsystem gehen. Anders werden seine Phantasien über mehr als ein Dutzend Milliarden Steuersenkung nicht funktionieren. So gut und vernünftig eine Zusammenlegung von SV-Einrichtungen ist – das große Geld liegt da nicht herum. Und daß die ÖVP extreme Einschnitte bei ihrer eigenen Klientel – den Beamten – vornehmen wird, ist auch nicht anzunehmen.
Die Kleinverdiener, die Prekären und der mittlere Mittelstand werden sich jedenfalls warm anziehen müssen, wenn Kurz tatsächlich die Agenda der Großindustrie verfolgen wird. (So wie schwarz-blau unter Schüssel die Agenda der politisch blauen Papierindustriellen verfolgte.)
Die SPÖ wird in Opposition gehen. Alle Ideen von rot-blau haben sich angesichts des Desasters von Niessl im Burgenland erledigt. Die Koalition von SP und FP im Burgenland hat ausschließlich der FP genutzt. Dafür hat die Wiener Partei der Bundespartei wenigstens den zweiten Platz gerettet. Und man irre sich nicht: das, was in den Medien als „rechter“ Flügel verkauft wird, ist nicht rechts. Die Leute um Ludwig haben nur erkannt, daß man mit naiver Willkommenspolitik die anstehenden Probleme nicht lösen kann.
Dafür hat sich mit der Liste Pilz erstmals in der Zweiten Republik der Nukleus einer neuen linken Partei etabliert: links, undogmatisch, bürgernah. Das war auch an der Zeit. So wie das rechte Lager mittels zweier Rechtsparteien sein Potential vergrößert, muß das auch auf der linken Seite des politischen Spektrums geschehen. Die Grünen waren nie eine wirklich linke Partei.
Daß sie jetzt wahrscheinlich aus dem NR fliegen, ist traurig und bedauernswert. Einer Demokratie ohne eine klar positionierte Umweltpartei fehlt etwas. Leider ist das die Schuld der Grünen. Wer sich nur noch auf Themen wie Genderismus, politische Korrektheit und Feminismus konzentriert, darf sich nicht wundern. Die Grünen haben sich immer mehr zu einer Verbotspartei entwickelt. Und dort, wo sie in den Ländern mitregieren können, haben sie nun wirklich kein Profil gezeigt. Die grüne Politik von Anschober war nicht erkennbar. In Tirol haben die Grünen (unter ihrer neuen Parteichefin, übrigens eine glatte Fehlbesetzung) jeden umweltpolitischen Unsinn mitgemacht.
Welche Koalition jetzt kommen wird? Der Papierform nach schwarz-blau. Ich persönlich halte aber auch eine Minderheitsregierung von Kurz für denkbar. Bei wechselnden Mehrheiten könnte er klar darstellen, warum diese und jene Erneuerung parlamentarisch nicht realisierbar ist, während in einer Koalition die Grenzen verschwimmen und oft nicht klar ist, wer eigentlich bei bestimmten Themen der Verhinderer ist.
Ob Kurz als Kanzler den Herausforderungen der nächsten Jahre wirklich gewachsen ist, kann man mit gutem Grund bezweifeln. Und ob die noch immer existierenden ÖVP-Granden ihn wirklich frei werken lassen, darf noch mehr bezweifelt werden. Das Interview mit dem steirischen Landeshauptmann Schützenhofer am Wahlabend sprach da Bände. Viel zu lachen wird Kurz nicht haben. Aber Mitleid ist nicht angebracht. Das gilt eher jener großen Mehrheit der Österreicher, die Kurz nicht gewählt haben. Und jener sehr großen Minderheit, die gegen schwarz-blau gestimmt hat, und jetzt womöglich genau das bekommt, was sie nicht wollte. So wird es übrigens auch den „Modernisierungsverlieren“ gehen, die meinten, die FPÖ (oder auch Kurz) werde sie vor den Folgen der Globalisierung retten.
Immerhin gibt es nun im österreichischen Parlament eine klare politische Lagerbildung zwischen Mitte links/links und rechts/rechtsaußen. Das nennt man in Demokratien Normalität. Für einschneidende Änderungen der Verfassung in Richtung Ungarn oder Polen fehlt der rechten Mehrheit zum Glück die Zweidrittelmehrheit. Der Weg in die „dritte Republik“ konnte immerhin noch einmal verhindert werden. Jetzt wird es an der Sozialdemokratie liegen, sich zu regenerieren und Österreich in ein paar Jahren wieder in eine wirklich gute Richtung zu reformieren. So wie es einst Kreisky nach den lähmenden Jahren der ÖVP-Alleinregierung gelang. Kern dürfte dafür der richtige Mann sein.
Und noch etwas: die ÖVP ist inzwischen länger als die SPÖ ununterbrochen an der Regierung beteiligt. Wenn das System erneuert gehört, dann müßte auch die ÖVP in der Opposition landen. Irgendwie haben bei dieser Wahl Teile der Wählerschaft eins und eins nicht zusammenzählen können.